Leseprobe aus "Schatten der Dämmerung"

Rafael D. Trope, Die Dimensionen Saga, Buch 1: Schatten der Dämmerung (2023)

 

Phönix

 

Sie kommen mit der aufgehenden Sonne.

Sie heben sich über den Kamm der Berge und reiten mit den Fallwinden lautlos talwärts, der Stadt entgegen. Kein Geräusch kündigt sie an. Selbst im Gegenlicht des aufsteigenden Gestirns gleichen sie mehr einem Schwarm großer Vögel, das Auge täuschend in seiner distanzverzerrten Sinnestrübung.

Doch kein Auge sieht sie. Kein Blick erspäht ihre Annäherung, das fast majestätische Ausschwingen in die neue Formation ihres Näherschwebends.

Ein sanfter Wind hebt an. Ein leichtes Strecken des noch schlaftrunkenen Morgens, durch eine vage Vorahnung unsanft geweckt.

Sie kommen mit dem anbrechenden Tag.

Sie gleiten stahlbewährt über leicht wogendes Steppengras, über die morgenschattige Tiefebene. In dessen schützende Senke drückt sich jene Stadt, die auszulöschen sie sich heute zum Ziel gesetzt haben. 

Ihre näher rückende Bedrohlichkeit spannt Bogenseiten, sich bald entladend in ihrer Unvermeidbarkeit.

Das Morgenlicht flattert heran, zwischen aufreißenden Nebelfeldern und bricht sich splitternd in den Fenstern eines Kirchturms. Schreckerstarrt in bleierner Schwere läuten dessen Glocken nicht und das Glas der Fenster klebt blutrot in grau gefärbten Mauerrahmen.

Ein windgewecktes Eichenblatt dreht Kreise in den Staub.

Ein fein gewebtes Spinnennetz wellt Glitzern in die Luft.

Sie kommen in der Stunde des Erwachens. Zeitgerafft fallen schwarze Tropfen aus ihren Leibern. Sie regnen den Tod.

Das grelle Blitzen aufschlagender Vernichtung eröffnet das brüllende Beben zerreißender Stille und zarte Strahlen einer Morgensonne ersticken im Aufblühen atomarer Feuerstürme.

Ein windgewecktes Eichenblatt brennt zitternd in den Staub.

Ein fein gewebtes Spinnennetz verglüht wallend in der Luft.

Sie entfernen sich in den Todeswehen einer Stadt. Sie entschweben sacht, so wie sie gekommen sind, lautlos nüchtern und gefühllos kalt.

Ein Kirchturm hebt sich trotzig aus den rauchend schwarzen Trümmern seiner vormals prächtig stolzen Anbauten. Leiser Klang einer Glocke stirbt über ausgezehrtes, hohlgebranntes, Gebäudegerippe.

Sie verschwinden in den Morgenstunden.

Sie haben keinen Grund zurückzublicken, denn sie wissen, was sie hätten sehen können. Ein kalt verstrahltes, jeglichen Lebens entrissenes, ehemalig blühendes Stückchen Zivilisation.

Einsam steht sie da und blickt auf den Kirchturm. Genauso trotzig hebt sich ihre Silhouette gegen grauschwarz regnenden Aschevorhang ab.

Reglos steht sie einfach da und in all dem Sterben rings um sie, ist ihr Körper alabasterbleich und nackt, von lotusblütenhafter Reinheit, völlig unversehrt.

Ein tiefes Seufzen entringt sich ihrer Brust. Ein bebender Atemstoß treibt ein Ascheflöckchen von ihren sanft geschwungenen Lippenbögen, weg in eine trostlose Szenerie.

„Warum muss es immer so beginnen?“ Fragt sie leise vor sich hin und sucht in den Trümmern nach etwas, das sich eignet ihre Blöße zu bedecken.

Nur aus dem Augenwinkel nimmt sie ein kurzes Aufblitzen wahr, ein Aufglühen, wie ein längst verwehter Traum aus einer längst vergangenen Zeit und ein blechernes „Klenk“ zieht ein Echo durch ihre Erinnerung, die sogleich verblasst.

Das Erwachen tropft steinschwer in ihr Bewusstsein. Es reißt Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis, wie ein hungriger Wolf Fleisch aus den Flanken seiner Beute. Sie stürzen bröckelnd ein, so wie Mauern einer Sandburg von den rollenden Meereswellen der ansetzenden Flut umspült zu buckligen Stumpen schmelzen, glattgebügelt, ihrer ursprüngliche Form beraubt, nicht mehr als eine verwaschene Ahnung.

Sie kennt das Gefühl, hat es schon unzählige Male gespürt. Als würde ein Teil von ihr abgetragen werden, weggehobelt, bis nur mehr das Notwendigste übrig bleibt, ein Grundgerüst, auf Werkseinstellungen zurückgesetzt.

Sie fühlt sich, wie in einem leeren Zimmer, keine Möbel, keine Bilder, nicht einmal ein Bodenbelag und es ist kalt. Kein Hinweis auf jemanden, der einmal darin gewohnt haben mag. War das Zimmer vielleicht ein Schlafgemach? Mit einem Himmelbett da an der Wand, gegenüber den Fenstern und einer Türe zu einem luftigen Balkon, der den Blick ins Freie nicht verstellt? Ein Bett womöglich mit Rahmen aus dunklem Nussholz, mit dunkelblauem Satin bezogene Kissen und Daunendecken auf Bettlacken aus feinster Seide? Die Pfosten an den Ecken streben empor, zur Stuckdecke hin enden sie in einem prächtig glänzenden Himmel aus schwerem Brokat, der seine Seiten luftig fließend in einem Wasserfall von Chiffon wieder zu Boden schickt?

Nein! Nichts von alldem streift ein erkennendes Erinnern. Nur ein Zimmer, ein leerer Raum, so leer, wie ihr Gedächtnis und selbst die Luft steht stickig darin.

Nur eins ist da in diesem Zimmer. Es schwitzt aus dessen Mauerwerk, überlagert, wie eine undefinierbare Aura die gähnende Leere und starrt sie in Neonschrift von den Wänden grell blitzend an als wollte es sie anspringen.

Ihr Auftrag! Sie weiß, nur dann, wenn sie ihn ausgeführt haben wird, wird sich auch dieses Zimmer wieder füllen, mit all ihren Erinnerungen. Sie wird wieder wissen, wer sie wirklich ist.

Gedankenverloren wischt sie unwirsch eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht.

Im Moment, denkt sie, brauche ich erstmal einen Namen.

Sie blickt sich um und der Ascheregen knistert durch die Stille, wie trockene Blätter einer Rose in der zur Faust geballten Hand. Eine surreale Rue streckt sich wie ein Leichentuch durch schwarz-grau zugedecktes Trümmerfeld und jegliche Farben sind erstickt. Rauchfaden kräuseln sich hier und da aus dem Schutt, ein letzter Atemstoß aus der krebsdurchwucherten Lunge dieser Stadt.

Als wäre ich aus der Asche eines Stahlgewitters wiedergeboren, blitzt ein Gedanke in ihr auf und als wollte sie darin noch bestätigt werden, drückt sich ein blasser Sonnenstrahl durch den rauchigen Todesschleier.

„Phönix!“ Schreit sie ihm entgegen.

„Das ist immerhin ein Anfang!“ und dann dringen Stimmen an ihr Ohr...

 

To be continued!

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