Rafael D. Trope, Die Dimensionen Saga, Buch 1: Schatten der Dämmerung (2022)
Skyte Sagitas
Du bist kein Killer, aber trotzdem löscht du Leben aus und das mit einer Gnadenlosigkeit, die keinen Raum lässt für Bewunderung, selbst nicht in dem Kreis an Talentierten zu dem auch du dich zählst und der deshalb so klein ist, weil er im Dunkeln und Verborgenen operiert und um jeden Preis vermeiden will, aufzufallen oder gar enttarnt zu werden. Selbst du kannst sie dir nicht leisten, wenn du durch diese belebte Gasse schleichst, in der Unrat, nur unzulänglich zur Seite gekehrt, genauso wenig Beachtung findet, wie dein schlecht sitzender Anzug.
Menschen neigen nicht dazu ihre Aufmerksamkeit an Details zu verschwenden, das weißt du, schon garnicht hier in dieser Hektik eines ganz normalen Einkaufsnachmittags, aber selbst sie haben ein rudimentäres Gespür für einen unstimmigen Gesamteindruck, der sie aus deiner Sicht unnötig wach werden lässt. Wie bei einem Fehlersuchbild bleibt für sie immer dieses ungute Gefühl zurück, das die Erinnerung beschreibt, den einen Fehler nicht gefunden zu haben. Zuviel Risiko für dich. So sind es doch wieder die kleinen Details, auf die du so viel Wert legst, von denen du weißt, dass sie dich, so wie jetzt, in der wogenden Menschenmenge verschwinden lassen und verhindern, dass selbst nicht einmal diese Erinnerung an eine Unstimmigkeit zurück bleiben wird.
Du bist auf der Jagd und das Einkaufsgewusel ist für dich wie Steppengras, durch das du als ein gut getarnter Tiger schleichst und so gut wie unsichtbar für deine Beute bleibst. Sie ahnt nicht einmal, dass du keine zehn Schritte entfernt schon lange auf ihre Fährte bist und sie fest im Auge hältst obwohl du kaum hinsiehst. Es sind genau diese Details, die ein außenstehender, unwissender Beobachter eher als schrullige Ticks beschreiben würde, die dich so unschuldig harmlos erscheinen lassen, wie ein Goldfisch im Wasserglas. Sie sind die Tarnung, die dich mit den Schatten der Menschen hier in diesem Gewühl verschmelzen lassen und deiner Beute keine Chance gibt dich als das zu erkennen, was du wirklich bist.
Ein weiteres Mal schiebst du mit dem kleinen Finger deiner rechten Hand die lächerlich wirkende Nickelbrille, die dir andauernd auf die Nasenspitze rutscht, gedankenverloren den etwas zu langen Nasenrücken hoch und keiner um mich herum erkennt, dass du mit messerscharfem Blick durch deine Finger schielst und die Umgebung auf Gefahren absuchst.
Du hast ihn längst entdeckt! Deine Beute hat einen Schatten, einen Aufpasser, einen Schutzengel und deine jahrelange und erschreckend blutige Erfahrung sagt dir auch, dass er gut ist. Nicht so gut wie du selbst und nicht zum erste Mal denkst du dabei wehmütig, wie schade es ist, dass es niemanden gibt, der bewundernd festhält, wie gut du wirklich bist.
Der Schatten bleibt an einem Schaufenster stehen und du beobachtest wie er interessiert auf ein Preisschild unter einem Blazer blickt, dessen modisch jugendliche Ausgefallenheit nicht zum Leben gegerbten Gesicht und Jahre gekrümmten Rücken des Schatten passen will. Deine Sinne spannen sich! Abgelenkt greifst du in die Innentasche deines eine Nummer zu großen Jackets und ziehst hastig einen uralten Kommunikator hervor, um mit gespielter Überraschung einen Anruf entgegenzunehmen, den du nicht bekommen hast. In Gedanken versunken und scheinbar deiner Umgebung entrückt, schlenderst du dabei auf die dreckig vergilbte Bank zu, auf die du dich setzt und auf der du umständlich versuchst ein Bein über das andere zu schlagen. Hat er dich entdeckt? Nein, so gut ist er auch wieder nicht aber zur Sicherheit wendest du ihm den Rücken zu und wirst dadurch zur Lücke seiner Wachsamkeit und so sitzt du da in seinem blinden Fleck und lächelst still in dich hinein, überzeugt davon, dass deine Tarnung nicht aufgeflogen ist und auch davon, dass du der richtigen Beute folgst, die dir einen weiteren Schnipsel Information geben wird. Die Beute ist nicht dein Ziel, aber wichtig für dich, und auch wichtig genug für jemanden, der ihr einen Schutzengel gewährt, wichtig genug auch, dass dieser einer der besseren ist, besser als diejenigen, die in ihren knallengen Anzügen ihre eisengepumpten Muskeln zur Schau stellen wollen, nach Bewunderung heischend und darüber hinaus selbst ihre Schutzbefohlenen vergessen nur um in deren Sonne heller zu glänzen. Diese bemerkten nicht einmal das Unheil, selbst wenn es schon wie Hundekacke unter ihren Designer Stiefeln klebte.
Auf der Bank, die altersschwach in den Einkaufsnachmittag hineinrottet, saugst du an deiner Unterlippe und dein gespieltes Grinsen wir dadurch schief, so als hätte ein Boxer dir lange bevor du tatest, was du jetzt tust, einmal das Kiefer gebrochen und es wäre nicht mehr richtig zusammengewachsen. Du wirkst so selbstverständlich dazugehörend zu dieser Einkaufsgasse, wie der überquellende Mülleimer neben der Bank auf der du sitzt, in dem der Wind eines kalten Frühlingstages das Verpackungspapier rascheln lässt. Und genauso selbstverständlich erhebst du dich, um wie ein Bluthund die Fährte wieder aufzunehmen.
Der Schatten ist weitergegangen, bemerkst du mit Genugtuung und auch, dass er nicht einmal eine Ahnung von dir hat.
Du folgst ihm vorbei an neongelben Werbeholoschirmen, deren Schimmer sich in den Winkeln deiner eisgrauen Augen spiegelt und dort etwas zum Leuchten bringen will, was du schon vor so langer Zeit abgelegt hast, wie einen vergessenen Regenschirm am Eingang zu einer zwielichtigen Bar, etwas, das du weggesperrt hast, damals als es passierte, so tief weggesperrt, dass es für immer verloren scheint, deine Menschlichkeit. Du läßt die Erinnerung vorbeiziehen und blickst aus der Ferne auf einen Schmerz, der dir damals dein Menschsein nahm, am Grabstein eines früheren Lebens, dass du nie Zeit hattest wirklich gelebt zu haben. Und so spiegelt neongelbes Werbegeflimmer in deinem gefühllos kalten Irisgrau und selbst der kühle Frühlingstag wird kälter, gefriert zu einem Flüstern im Wald, zu dem du immer dann wirst, wenn du dich anschickst einen weiteren Auftrag zu erfüllen, an dessen Ende immer eine nüchterne Todesanzeige steht. Schritt für Schritt führt er dich weiter, vorbei an Schaufenstern, die hinter halbblinden Glasscheiben Waren zur Schau stellen, für die du kein Interesse hast aber heuchelst, wenn du ein, zwei Sekunden lang deinen Blick über sie schweifen lässt. Sie hätten dir ohnedies kaum etwas anzubieten, was du nicht schon längst kennst und sicher günstiger über einen der zahlreichen Online-Giganten bequem von zu Hause aus bestellen könntest. Und so bleibt dein Blick, dein beiläufiges Inhalten in gespielter Konzentration nur ein weiteres Detail einer Tarnung, die dich mit der Masse der Konsumsüchtigen verschmelzen lässt. So schlenderst du weiter, penibel darauf bedacht einen wohl kalkulierten Abstand zwischen dir, deiner Beute und dessen Schatten einzuhalten, vorbei an ölschmierig schimmernden Wasserpfützen, welche altersrissige Asphaltspalten zudecken und die in ihrem schmutzigen Glänzen den Eindruck eines heruntergekommenen Viertels von Marloh’s ehemals prächtigem Innenbezirk widerspiegeln, den die dreckigen Schaufenster zu einem passenden Bild der Verwahrlosung zusammensetzten. So trägst du mit Stolz deinen Flecken besetzten, aus der Mode gekommen Anzug durch diese Trostlosigkeit, in die du damit so perfekt zu passen scheinst, hin zu jener Bar, an dessen Tresen du den Köder platziert hast. Die Bar, dessen träge im Wind schaukelndes Namensschild dir nun am Ende der Einkaufsstraße entgegenwinkt und die den bezeichnenden Namen, Dead End Bar & Grill trägt. Von ihr weißt du, dass sie jeden Freitag Nachmittag Ziel deiner Beute ist, um dort nach arbeitssamen Stunden seinen Afterwork-Drink zu genießen. Da wird er sitzen und selbst der Schatten wird ihn schlucken, den Köder, weil er schon viel zu oft mit ansehen musste, wie sein Schutzobjekt auf den ältesten Trick der Menschheit hereingefallen ist, dem Versprechen auf Sex mit einer verboten großen Altersdifferenz. Selbst wenn der Schatten wirklich so gut ist, wie du annimmst, so wird sein schneller Background Check nur jene studentisch gelangweilte aber immer geile Naivität zu Tage fördern, dessen Konsequenzen für seinen Mandanten er mit entsprechendem Kleingeld problemlos aus der Welt zu schaffen wissen wird. Du hingegen wirst wie immer im Dunkeln, ein Phantom, oder besser noch nicht einmal eine Ahnung bleiben.
Die schwere, Gusseisen beschlagene Eingangstür zur schummrigen Bar knarzt altersschwach in ihren Angeln, als du vorgibst sie mühselig aufzudrücken, obwohl deine gut versteckten Muskelpakete die Bewegung nicht einmal einer flüchtigen Kontraktion für Wert befinden. Du setzt dich an den kleinen Tisch am Fenster, das zur Einkaufsgasse hin durch sein blindes Glas nur begrenzt Helligkeit ins Halbdunkel deines Platzes fallen lässt und du brauchst keinen Blick zu verschwenden um zu wissen, dass deine Beute schon längst Opfer des freizügig ausgeschnittenen Dekolletés geworden ist, das sich seinem Geifern auffordern entgegen reckt. Trotzdem stellen sich alarmiert deine Nackenhaare auf. Wo ist der Schatten? Ein neuerlich tollpatschig wirkendes Hochschieben deiner Nickelbrille kaschiert das suchende Schweifen deiner Augen, das zuverlässig den einzig möglichen Winkel in dieser abgelebt schmierigen Bar identifiziert, wo sich ein professioneller Schatten zurückziehen würde, um alles im Blick zu behalten was ihm wichtig erschiene beachtet zu werden. Dort sitzt er. Mit Befriedigung stellst du fest, dass du unter seinem Radar fliegst und nicht einmal annähernd an seiner Wachsamkeit kratzt und so riskierst du es. Du siehst dem Schatten eine volle Sekunde lang direkt ins Gesicht, bevor du übertrieben auffällig die Bedienung an deinen Tisch winkst. Er ist alt, fällt dir au. Aber seine faltige Haut täuscht nicht über die Spannkraft alter Tage hinweg. Sie zeugen von hartem Training und ebensolcher Disziplin und genau das macht ihn gefährlich. Du kannst nicht wissen, was ihm sein durch unzählige Erfahrungen angereichertes Leben gelehrt hat und dein durch unzählige Erfahrungen geprägtes Leben selbst sagt dir, dass du ihn auf keinen Fall unterschätzen darfst. Schon strafst du dich für deinen starrenden, eine Sekunde lang dauernden Leichtsinn.
Ein helles Kichern flattert aus dem Hintergrund der Bar und durchbricht das schummrige Zwielicht als es so vom Tresen herangeflogen kommt und dir zeigt, dass deine Beute sich im Netz verfangen hat. Dir entgeht nicht, wie der Schatten missbilligend die Augen verdreht und auch nicht das leichte Zittern seiner Hand als er sein Glas ergreift. Dir ist plötzlich klar, dass es kein Wasser ist, das er trinken wird, sondern die hochprozentige Entschädigung für einen beschissenen Tag an den Haken eines charakterlosen Arschlochs, das nur deshalb wichtiger ist als er, weil er mehr Kohle am Konto hat, welches er gerade dabei ist einer vollbusigen Studentin für irgendwas in den klaffenden Ausschnitt zu stecken nebst der Erwartung später noch etwas mehr wegstecken zu können. Du entspannst dich. Er ist doch nicht so gut, wie du annahmst. Du schraubst deine Wachsamkeit auf ein energieschonendes Niveau herunter, dass dir erlaubt den Fokus auf dein wahres Ziel zu lenken. Du kannst es dir leisten dem Unausweichlichen seinen Lauf zu lassen und morgen schon wirst du aus dem Mund des kurvigen Köders das letzte Puzzleteil bekommen, dass dein Bild vom Ziel vervollständigen wird und du bestellst einen Drink bei der Kellnerin, die den Kopf schüttelt über die kichernde Einfältigkeit am Tresen, mit der Hand von Sugar Daddy im Schritt und ihrem Lollipop Kussmund zum Blasen bereit.
Was für eine Schlampe, hörst du sie sagen. Laphroaig gibst du zur Antwort. Du weißt, dass der Whisky dir die Sinne vernebeln wird aber hier ist auch nichts mehr was dir nüchtern betrachtet gefährlich werden und dich betrunken aus der Bahn werfen könnte. Morgen schon wirst du wissen, wo und wie genau du deinem Ziel das Leben nehmen wirst.
Du lehnst dich im Sessel zurück und siehst durch das schlierige Fenster nach draußen in den Durchstich zur Fresno Street, an der klapprigen Werbetafel in ihrem rostigen Montagerahmen vorbei zum Kirchturm der Holy Church, in dem das Uhrwerk die Glocke zur vollen Stunde schlagen lässt und du denkst dabei, dass du kein Killer bist, nein, du bist ein eiskalter, von jeglichem Mitgefühl befreiter, gnadenloser Sniper, ein Scharfschütze, ein Präzisionsschütze. Dein Name ist Skytte Sagitas. Du bist der mit 800 Meter pro Sekunde Mündungsgeschwindigkeit unaufhaltsam heranrasende Tod. So ist es immer gewesen, bis heute jedenfalls. Aber das kannst du noch nicht wissen, weil es morgen erst passieren wird.
To be continued....